Anti-Militarismus

Hausfrau schreibt dem BND-Präsidenten

Wie der russischen Gefahr begegnet werden kann

(Conrad Taler)

Frankfurt (Weltexpresso) – Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, hat dieser Tage in ungewöhnlicher Form, nämlich öffentlich, was sich für einen Geheimdienstler eigentlich nicht gehört, vor den „machtpolitischen Ambitionen“ Russlands gewarnt. Er bezeichnete Russland vor Zuhörern der Hans-Seidel-Stiftung in München als „potentielle Gefahr“. Nach einem groß aufgemachten Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 15. November 2017 bezweifelte Kahl, „ob die „Wehr- und Rüstungsfähigkeiten Westeuropas gegen die neuen Bedrohungen ausreichten“. Unsere Leserin Adele Hübner-Neuwerk empfahl dem BND-Chef in einem Offenen Brief eine Reihe vorsorglicher Maßnahmen. Im Hinblick auf die Wichtigkeit des Themas drucken wir den Brief im Wortlaut ab. (Die Redaktion)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Vorausschicken möchte ich, dass Sie mein volles Vertrauen besitzen, und zwar aus folgendem Grund: Als Oberstleutnant der Reserve haben Sie mehr Verstand als jeder Zivilist, der die russische Gefahr von Haus aus nicht richtig beurteilen kann. Sie haben vollkommen recht: Dem Russen ist nicht zu trauen. Ich habe den letzten Krieg zwar nicht miterlebt, weiß aber von einem Großonkel, der das EK II hatte, dass Panzersperren den russischen Soldaten vor Probleme stellen. Er wird in alten Möbelstücken oder sonstigem Hausrat erst nach Brauchbarem suchen. Das bringt Zweitgewinn. Vom letzten Sturm gefällte Bäume eignen sich ebenfalls gut für solche Sperren zum Beispiel an Autobahnauffahrten. Manche schwören mehr auf Laubbäume, andere auf Nadelbäume. An solchen Bürgeraktionen würde ich mich sofort beteiligen. Auf EU-Vorschriften bezüglich der Dicke der Baumstämme sollten wir jedenfalls nicht warten.

Eine genial einfache Methode wird sich aus der Elektromobilität ergeben, von der auch Russland erfasst werden wird, wenn deutsche Autofirmen rechtzeitig liefern. Da genügt es, einfach den Strom für Ladestationen abzuschalten, während wir lachend unsere alten Diesel aus der Garage holen. Im Übrigen ist es von Moskau bis zu uns ein weiter Weg. Die Russen müssten eine Menge Länder umfahren oder eine Durchfahrts-Erlaubnis beantragen. Ich glaube nicht, dass sie die von den Polen kriegen würden. Auch die Slowaken, die Tschechen und die Ungarn würden nicht mitmachen. Bleibt noch die Balkanroute, aber die hat Österreich ja dicht gemacht. Also, das wird für Putin nicht einfach, Deutschland zu besetzen. Aber wir müssen trotzdem wachsam sein.

Herr Präsident! Ihre Leute haben an der Grenze zu Estland, Lettland und Litauen bei den russischen Streitkräften eine – wie Sie sagten – erstaunliche und beunruhigende Modernisierung bei Ausrüstung und Führungsfähigkeit festgestellt. Ich denke nicht, dass Sie mir damit Angst machen wollen. Das geht wohl eher an die Adresse der Politik, die nicht richtig in die Hufe kommt mit der Bewilligung von Geld für Aufträge an die Rüstungsindustrie. Tatsächlich lahmt die Bundeswehr nicht nur bei den Hubschraubern, sondern auch bei anderem kriegswichtigen Gerät. Haben wir genug Gulaschkanonen für den Fall eines Falles? Hungrige Soldaten, das geht gar nicht, würde Frau Merkel sagen, auch bei denen kommt erst das Fressen, dann die Moral.

Was das Letzte betrifft, sollten sie Ihren ehemaligen Geheimdienstkollegen Putin über sichere Kanäle wissen lassen, dass sich bei uns – was die Freude am Erobern betrifft – Einiges geändert hat. Einfach nur wie nach dem letzten Krieg rufen „Frau komm!“ das funktioniert nicht mehr. Nein heißt jetzt nein, ohne Ausnahme. Mir gefällt das, aber weiß man, ob sich das bei den Russen schon herumgesprochen hat? Dem alten Macho Putin wird es wahrscheinlich nicht schmecken, dass der Westen jetzt dieses Geschütz auffährt. Das demotiviert doch jeden Soldaten. Der sagt sich, wozu einen so weiten Weg machen, wenn sich dann nichts abspielt in gewisser Hinsicht. Machen Sie das dem russischen Präsidenten mal klar, vertraulich selbstverständlich, wie sich das gehört.

In diesem Sinne grüßt Sie die Ihnen wohl gesonnene

Adele Hübner-Neuwerk

Quelle: Zuerst veröffentlicht in: Weltexpresso, November 2017


Trum ante portas

(Conrad Taler )

Es gibt in der menschlichen Natur neben der Vernunft auch das, was der Volksmund das Bauchgefühl nennt. Nur dort wo sich staatliche Macht zusammenballt gibt es das Bauchgefühl nicht. So entstehen dann Situationen, in denen viele ziemlich belämmert dastehen, so wie nach dem Wahlsieg Donald Trumps. Die kapitalistischen Eliten in den USA – aber nicht nur dort – wollen einfach nicht wahr haben, dass sich zwischen ihnen und großen Teilen der Bevölkerung eine Entfremdung breit gemacht hat, die sich irgendwann politisch entlädt.

Zwei Dinge sind es, die diese Entfremdung bewirken: Zunehmende soziale Unsicherheit und das Gefühl einer Bedrohung der eigenen Identität durch den Zustrom fremder Menschen, von Menschen, die noch ärmer sind als die Ärmsten im Lande, aber anders aussehen und einer anderen Kultur angehören. Donald Trump hat es verstanden, die Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung in eine Richtung zu lenken, die für ihn, den Milliardär, und Seinesgleichen ungefährlich ist: Weg von den Reichen und hin zu den armen Schluckern, die aus Mexiko oder sonst woher in die USA strömen, um dort ein besseres Leben zu suchen.

Die Entzauberung Donald Trumps wird nicht lange auf sich warten lassen, denn die Ursachen für den wachsenden Reichtum auf der einen Seite und die wachsende Armut auf der anderen bestehen ja weiter. Was das außenpolitische Getöse betrifft, mit dem Trump seine Anhänger beeindrucken konnte, so werden es die Finanzjongleure an den Börsen der USA eine Zeit lang tolerieren, ehe sie ihm bedeuten, dass dem schnellen Profit keine Hindernisse in den Weg gelegt werden dürfen. Auch Barack Obama wurde ganz schnell in seine Grenzen verwiesen.

Das eigentliche Problem, sowohl in den USA, als auch anderswo, sind nicht die Leute vom Schlage eines Donald Trump, Victor Orban oder Marine Le Pen; deren Parolen gedeihen schließlich nur auf dem Boden, den andere für sie bereitet haben. Das eigentliche Problem sind die demokratischen Politiker, die sich blind und taub stellen gegenüber dem Unbehagen und dem dumpfen Gefühl vieler Menschen, nicht ernst genommen zu werden, niemanden zu haben, der sich der eigenen Sorgen annimmt. Dass so viele Menschen nicht wählen gehen oder sich für eine Partei entscheiden, die sich als Alternative zum politischen Mainstream bezeichnet, resultiert aus diesem Gefühl der Ohnmacht.

Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie gewährleistet werden kann, dass die Schüler in Deutschland nicht in maroden Schulen und überfüllten Klassen unterrichtet werden müssen, statt dafür zu sorgen, dass niemand so gering entlohnt wird, dass er auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, verschwenden die Bundesminister für Auswärtiges, Wirtschaft und Verteidigung in Berlin ihre Gedanken auf ein neues Rüstungskonzept, das Milliarden Euro verschlingen wird. Das klingt jetzt vielleicht nicht sehr hilfreich angesichts der Probleme, die mit Donald Trump auf Deutschland und Europa zukommen, aber es hängt ursächlich mit den Problemen zusammen, um die es bei der Wahl in Amerika ging und um die es auch hierzulande geht.

9. November 2016


Putsch gescheitert- alles gut?

Was verbindet die Türkei mit der westlichen Wertegemeinschaft?

Was war das denn nun: Ein Putschversuch von rechts oder von links? Oder spielt das keine Rolle? Müssen wir uns als Europäer in jedem Fall auf die Seite Erdogans stellen, weil er in der Türkei die Demokratie verkörpert? Er, der von Demokratie nicht viel zu halten scheint, wenn es um seine Macht geht. Was ist das für eine Demokratie, die wenige Stunden nach dem Umsturzversuch 2745 Richter absetzt? Standen die alle schon auf einer schwarzen Liste? Entscheidet in der Türkei die Regierung darüber, wie Richter zu urteilen haben? Gewaltenteilung ist ein Merkmal der Demokratie. Ohne Gewaltenteilung keine Demokratie. Die Türkei gehört als Mitglied der Nato doch zur westlichen Wertegemeinschaft.

Wie vertragen sich Säuberungen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen? Mehrere tausend Armeeangehörige sollen verhaftet worden sein. Waren darunter vielleicht auch Offiziere, die noch vor wenigen Tagen an dem Nato-Treffen in Warschau teilgenommen haben? Auf welcher Seite stehen die Vertreter der Türkei im Nato-Hauptquartier? Sie sind schließlich mitverantwortlich für die Sicherheit auch unseres Landes.

Was nutzt es, die militärische Präsenz der Nato an der Grenze zu Russland zu verstärken, wenn niemand sicher sein kann, dass möglicher Weise Gefahr von ganz anderer Seite her droht. Was weiß man eigentlich über die Ziele der Militärs, die Erdogan absetzen wollten?

Hat denn keiner der westlichen Geheimdienste etwas davon gewusst, dass sich in der Türkei etwas zusammenbraut? Die haben ihr Ohr doch sonst überall. Auch bei uns. Im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik heißt es, Deutschland stehe auf Grund seiner Bedeutung und seiner Verwundbarkeit in der Verantwortung, „die globale Ordnung aktiv mitzugestalten“ und bei Friedensmissionen der UNO auch „Führungsverantwortung“ zu übernehmen. Da sollte man sich auf seine Nato-Verbündeten hundertprozentig verlassen können.

Dass der Putschversuch gescheitert ist, sagt wenig aus über die innere Stabilität der Türkei. Über das gesamte Land wurde der Ausnahmezustand verhängt. In der nächsten Zeit wird die türkische Regierung mit sich selbst zu tun haben und kaum dazu kommen, sich Gedanken über das Verhältnis zu Russland zu machen, zumal da die USA wieder einmal demonstrieren, dass sie den russischen Präsidenten Putin für einen wichtigen Partner in Fragen der Sicherheit halten. Zur selben Zeit, da Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla die Russen beim Petersburger Dialog wegen der Krim und wegen der Ukraine angiftete, besprach der amerikanische Außenminister Kerry mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow in Moskau hinter verschlossenen Türen das weitere Vorgehen im Syrienkonflikt.

Was den französischen Präsidenten Holland angeht, so dürfte ihm nach dem Blutbad von Nizza kaum danach sein, sich den Kopf mehr als unvermeidlich über die Türkei, die europäische Flüchtlingskrise und die Folgen des bevorstehenden britischen Austritt aus der Europäischen Union zu zerbrechen. Angela Merkel ist nicht zu beneiden – wohin sie auch blickt, überall Scherben. Nur bei uns ist alles paletti, auch wenn manche den Eindruck erwecken – siehe Pofalla – als lebten sie hinter dem Mond.

16. Juni 2016


Offener Brief an Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg

Zum 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion (2016)

Sehr geehrter Herr Generalsekretär,

Sie könnten vom Alter her gesehen mein Sohn sein. Sie haben weder eigene Erinnerungen an die Besetzung Ihres Heimatlandes durch die deutsche Wehrmacht im Jahr 1940 noch an den Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Ich war vierzehn Jahre alt, als der so genannte Russlandfeldzug begann. Aus dem Radio hörte ich, Sowjetrussland sei ein Koloss auf tönernen Füßen, der Krieg werde schnell zu Ende sein. Dass ich selbst noch zur Wehrmacht eingezogen werden würde, konnte ich mir nicht vorstellen. Erst recht nicht, dass ich jemals in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten würde. Beides blieb mir jedoch nicht erspart.

Meine Erinnerungen an das grauenvolle Kriegsgeschehen haben mich niemals verlassen. Ich finde es beängstigend und verantwortungslos, dass die Nato unter Ihrem Kommando nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt Manöver abhält, noch dazu wenige Tage vor dem 75. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Ihre Begründung, das sei notwendig, weil Russland versuche „mit militärischen Mitteln einen Einflussbereich aufzubauen“ und an der eigenen Grenze eine massive Aufrüstung betreibe, ist überzogen und wenig überzeugend. Wie würden denn die USA reagieren, wenn unter russischem Kommando an ihrer Grenze etwa zu Mexiko ein internationales Manöver mit rund 10 000 Soldaten stattfände? Ein Blick auf die Weltkarte zeigt, wer sich von wem bedroht fühlen muss.

Dass ein so besonnener Mann wie der deutsche Außenminister Walter Steinmeier die Nato-Manöver in Osteuropa scharf kritisiert hat, sollte Ihnen zu denken geben. „Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen“, forderte Ihr sozialdemokratischer Parteifreund in der „Bild am Sonntag“ vom 19. Juni 2016. Er nannte es“ fatal“, den Blick auf das Militärische zu verengen. „Wir sind gut beraten, keine Vorwände für eine neue, alte Konfrontation frei Haus zu liefern.“ Die Geschichte lehre, dass es neben Verteidigungsbereitschaft auch die Bereitschaft zum Dialog und Kooperationsangebote geben müsse. Man habe ein Interesse daran, Russland in eine internationale Verantwortungspartnerschaft einzubinden.

Umso unverständlicher finde ich, dass sich deutsche Truppen an dem Säbelrasseln beteiligen. Anscheinend geht den Verantwortlichen jedes Empfinden dafür ab, wie das auf ein Volk wirken muss, das wie kein anderes unter der deutschen Knute gelitten hat. 27 Millionen Menschen, die meisten davon Zivilisten, sind dem Vernichtungswahn der Nazis zum Opfer gefallen. Dabei hatten die beiden Länder 1939 einen Nichtangriffspakt geschlossen. Insofern war der Angriff besonders heimtückisch. „Die stärkste und am besten ausgerüstete Armee der Welt traf auf die ahnungsloseste“, urteilte die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18./19 Juni 2016. Dennoch behauptete der ehemalige Generalmajor der Naziwehrmacht und spätere Generalinspekteur der Bundeswehr, Heinz Trettner, nach seiner Pensionierung, der Krieg gegen die Sowjetunion sei „in erster Linie ein nur schweren Herzens begonnener, aufgezwungener Präventivkrieg“ gewesen. So am 11.März 1997 in einem Leserbrief an den „Bonner General-Anzeiger“.

Als Generalsekretär der Nato sollten Sie, Herr Stoltenberg, wissen, dass die Nato am 27. Mai jenes Jahres in der Nato-Russland-Grundakte ausdrücklich auf die Stationierung von Kampftruppen in Osteuropa verzichtet hat. Lesen Sie, was die Internationale Juristenvereinigung IALANA aus Anlass des 75. Jahrestages des Überfalls auf die Sowjetunion gefordert hat: Die Nato möge zurückkehren zu ihrer damaligen Aussage, dass die Vertragsparteien keine Gegner seien und die Sicherheit aller Staaten in der euro-atlantischen Gemeinschaft unteilbar sei. Dem schließe ich mich an, weil ich die verbleibenden Jahre meines Lebens in Ruhe und nicht in Angst vor einem Krieg verbringen möchte.

Kurt Nelhiebel, geb. 1927

Herbst 2016


Ein General schämt sich

(Conrad Taler)

Wann hat es das je gegeben: Ein deutscher Ex-General schämt sich. Schämt er sich wegen der Verbrechen, die seinesgleichen während des zweiten Weltkriegs begangen haben? Schämt er sich vielleicht wegen der völkerrechtswidrigen Teilnahme Deutschlands an den Luftangriffen auf serbische Städte nach dem zweiten Weltkrieg? Oder wegen der unsinnigen Tötung von mehr als hundert afghanischen Zivilisten bei der Bombardierung zweier Tankfahrzeuge in der Nähe von Kundus? Nein, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, schämt sich für die Haltung seines Landes bei der Abstimmung über die Militäraktion zum »Schutz von Muslimen« in Libyen. Das sei eine »historische Fehlentscheidung«, schrieb er in der Süddeutschen Zeitung vom 21. März 2011. Allerdings werfe die UN-Resolution die Frage auf, ob sie allein genüge, den Diktator zu stürzen. Der Ex-General rät: »Wer eingreift, muß durchgreifen.« Die Resolution biete dazu »viele Möglichkeiten«. Bodentruppen würden ja nicht generell ausgeschlossen, »nur fremde Besatzungstruppen«. Da wird wohl noch einiges geschehen, dessen sich mancher am Ende wird schämen müssen – bis auf den General im Ruhstand Klaus Naumann natürlich.

Ossietzky, „Bemerkungen“, 7 (2011)… 


Wohin der Apfel fällt

(Conrad Taler)

Schon als der junge Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg mit dem Amt des CSU-Generalsekretärs betraut wurde, hatte ich mir das Buch seines Großvaters Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg aus dem Bücherregal geholt, das er als Bundestagabgeordneter der Christlich Sozialen Union 1964 auf Wunsch des konservativen Seewald Verlages geschrieben hat. Es trägt den Titel »Wenn der Westen will« und war mir wegen seines scharfmacherischen Inhalts im Gedächtnis geblieben. Nun, da der Enkel einen weiteren Sprung nach oben gemacht hat, blättere ich noch einmal in dem alten Schinken und bekomme wieder eine Gänsehaut. Lange vor George W. Bush predigte er den Präventivkrieg: »Gegen die sowjetische Überlegenheit an konventionellen Streitkräften gibt es nur die Androhung des Einsatzes nuklearer Waffen.« (Seite 122) Und auf der nächsten Seite bekräftigte er: »Wohlgemerkt: Um wirksam zu sein, muß die westliche Strategie der Abschreckung also auch die Bereitschaft einschließen, unter gewissen Bedingungen noch vor dem Gegner zu nuklearen Waffen zu greifen.« Zum Glück kam alles anders. Ein dumpfes Gefühl ist aber zurückgeblieben. Wie mag wohl der junge Freiherr zu Guttenberg die heutige Weltlage betrachten? Man sagt ja: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ein Glück, daß er nur das Wirtschaftsministerium und nicht das Außenministerium übernommen hat. Das bekommt er wohl nach der Bundestagswahl.

Ossietzky, „Bemerkungen“, 4 (2009)…


Öko-Munition – wie human!

(Conrad Taler)

Worauf wir schon immer gewartet haben, soll bald Wirklichkeit werden – umweltfreundliche Waffen. Wie die „Sunday Times“ unlängst berichtete, entwickelt das britische Rüstungsunternehmen BAE-Systems unter anderem Kugeln mit reduzierter Bleimenge und Granaten mit geringer Rauchbildung.

Außerdem wolle das Unternehmen Raketen bauen, die weniger Giftstoffe als herkömmliche Raketen enthielten. Auch an wiederverwertbaren oder sogar kompostierbaren Sprengsätzen wurde gearbeitet. Nach Darstellung der französischen Nachrichtenagentur AFP unterstützt der britische Verteidigungsstaatssekretär Des Browns das Konzept der „grünen Munition“. Die US-Armee verfügt angeblich bereits über eine eigene Webseite für Nachhaltigkeit.

Alle potenziellen Opfer militärischer Gewalt können also aufatmen: Werden sie von einer Kugel mit reduzierter Bleimenge getroffen, verseuchen die den Erdboden zum Nutzen ihrer Kinder künftig nicht mehr mit so viel Blei. Die Opfer von Luftangriffen können unter den Trümmern ihrer Häuser mit dem beruhigenden Gedanken ersticken, dass die Brauchbildung bei der Explosion geringer war als bislang gewohnt. Blindgänger können von den überlebenden Angehörigen zur Wiederverwendung an der nächsten Sammelstelle abgegeben oder neben Kürbisresten im Garten kompostiert werden.

Die GRÜNEN in der Bundesrepublik wollen nach bislang unbestätigten Gerüchten möglicherweise auf einem Sonderparteitag über ihre Haltung zu umweltfreundlichen Waffen abstimmen. Verworfen wurde allerdings schon jetzt die Überlegung, das Logo der GRÜNEN zu Werbezwecken auf giftstoffarmen Raketen zu verwenden.

Erschienen in: NEUES DEUTSCHLAND, 16. Januar 2007


Bonn in der Talsohle

(Conrad Taler)

PDF

Seit Mitte Juni haben Zehntausende von Reisenden an der Grenze zur DDR Visumanträge ausgefüllt, und nicht ein einziger von ihnen sah sich veranlaßt, gegen die neuen Anordnungen so vernehmlich zu protestieren, dass Presse, Rundfunk und Fernsehen darin eine Auflehnung hätten erblicken können. Der Verkehr von und nach Westberlin verläuft nach anfänglichen Ubergangsschwierigkeiten reibungslos, und der rhetorische Aufwand in Bonn steht in krassem Widerspruch zum Verhalten der Reisenden an den Grenzübergangsstellen. Die Einführung einer Paß- und Visumpflicht wird von den unmittelbar Betroffenen augenscheinlich nicht als tatsächliche Behinderung des Berlin-Verkehrs angesehen.

Hier liegt wohl auch der Grund, weshalb die drei Westmächte dem Bonner Drängen nach Gegenmaßnahmen nicht nachgekommen sind. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Volkskammerbeschlüsse vom 11. Juni hatte Kanzler Kiesinger erklärt, es sei eine neue, ernste politische Lage entstanden, die ,,zu ernsten Gegenreaktionen führen müsse“. Die CSU des Finanzministers Strauß verlangte eilends, von nun an nicht mehr allzuviel Gedanken an eine Entspannungspolitik zu verschwenden. Es hieß, Kiesinger und Außenminister Brandt wollten nach Washington fliegen, um der amerikanischen Regierung die Ansichten Bonns vorzutragen. Aber die USA schienen an einer dramatischen Aktion nicht interessiert. Weder Kiesinger noch Brandt reisten nach Amerika. Sie nahmen damit vorlieb, daß US-Außenminister Rusk sich herbeiließ, auf dem Rückweg von der NATO-Tagung in Reykjavik eine Stipvisite in Bonn zu machen. Die erhofften ,,Gegenmaßnahmen“ kamen nicht zustande. …

Erschienen in: Blätter für deutsche und Internationale Politik, H. 7 (1968), S. 667-670.

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